Interview von François Bausch im Luxemburger Wort

"Uns wurde der Spiegel vorgehalten"

Interview: Luxemburger Wort (Marc Hoscheid)

Luxemburger Wort: François Bausch, seit drei Wochen ist Luxemburg im Ausnahmezustand und es gelten Ausgangsbeschränkungen. Wie diszipliniert sind die Bürger?

François Bausch: Im Allgemeinen ganz diszipliniert, wofür ich der ganzen Bevölkerung auch ein großes Dankeschön aussprechen möchte. Es gibt natürlich immer Ausnahmefälle. Die Polizei berichtet mir, dass einige Cafés noch immer heimlich öffnen und die Leute durch die Hintertür herein lassen. Das ist nicht verantwortungsbewusst, wir sollten uns alle an die Vorgaben halten, weil es uns erlaubt, schneller gesund aus der Krise zu kommen.

Luxemburger Wort: Wie viele Strafzettel wurden bisher ausgestellt? Sowohl an Privatpersonen als auch an Betriebe.

François Bausch: Die Polizei hat Hunderte Kontrollen gemacht und ist stark vor Ort präsent. Im Durchschnitt werden zwischen 30 und 40 Strafzettel pro Tag ausgestellt, weil Leute trotzdem in Gruppen unterwegs sind. Dazu kommen 15 bis 20 Geschäfte, die werden auch härter bestraft.

Luxemburger Wort: Warum halten sich einige nicht an die Regeln? Ist es Ignoranz oder mangelnde Information?

François Bausch: Es ist eher Rücksichtslosigkeit, die Menschheit ist so. Der Großteil ist solidarisch, aber es gibt immer Menschen, die glauben, die Regeln würden für sie nicht gelten, und sie könnten nicht zum Opfer werden.

Luxemburger Wort: Je länger der aktuelle Zustand dauert, umso angespannter wird die Situation. Kam es hierzulande bereits dazu, dass Polizisten, die Menschenansammlungen auflösen wollten, absichtlich angehustet wurden, wie es im Ausland schon der Fall war?

François Bausch: Mir wurde noch nicht von krassen Fällen berichtet. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass wir diesen Zustand nicht ewig lange aufrechterhalten können, denn das führt zu Kollateralschäden. Wir sind in einem Ausnahmezustand, der nicht zu meinem Verständnis von Demokratie passt. Auch für die Polizeibeamten ist es nicht einfach, denn sie müssen viel Fingerspitzengefühl zeigen.

Luxemburger Wort: Am Anfang kam es zu Hamsterkäufen, und die Polizei musste teilweise in Supermärkten wegen Streitigkeiten eingreifen. Hat sich die Lage mittlerweile beruhigt?

François Bausch: Die hat sich ganz klar beruhigt. Das war in der Anfangsphase, als befürchtet wurde, dass es zu Versorgungsengpässen kommen könnte. Auch ich hatte am Anfang, als die Grenzen geschlossen wurden, etwas Sorge, dass jeder versuchen würde sich abzuschotten. Doch gerade jetzt brauchen wir offene Grenzen, nicht damit die Menschen reisen, sondern damit die Waren transportiert werden können.

Luxemburger Wort: In anderen Ländern, beispielsweise Italien, gelten viel strengere Regeln. Wäre die luxemburgische Polizei überhaupt breit genug aufgestellt, um ein komplettes Ausgehverbot durchzusetzen?

François Bausch: In Italien wurde auch das Militär hinzugezogen. Das ist natürlich eine ganz belastende Situation, aber dort ist die gesundheitliche Lage auch erschreckend. Glücklicherweise sind dort die Zahlen dabei massiv zurückzugehen, und ich hoffe, dass die Regeln dort bald wieder etwas gelockert werden können. Man muss nämlich aufpassen, dass die Kollateralschäden nicht größer als die eigentlichen Schäden durch das Virus ausfallen. Das ist immer ein Abwägen zwischen Nutzen und Schäden von Maßnahmen.

Luxemburger Wort: Wenn Familien auf engem Raum zusammenleben, entstehen zwangsläufig Spannungen. Wurde die Polizei vermehrt zu Einsätzen wegen häuslicher Gewalt gerufen?

François Bausch: Diese Zahl hat abgenommen, aber das beruhigt mich nicht. Ich glaube, es gibt die berechtigte Angst bei mehreren Organisationen, dass vieles nicht bekannt wird, weil es hinter verschlossenen Türen passiert. Nur weil die Zahlen runtergehen, heißt das nicht, dass es wirklich zu weniger Gewalt kommt. Wenn die Krise vorbei ist, müssen wir das kollektiv verarbeiten. Die Krise zeigt nämlich auch die Schwachstellen in der Gesellschaft auf.

Luxemburger Wort: Werden in Luxemburg Handydaten von Infizierten ausgewertet, um ihre Bewegungen nachvollziehen zu können?

François Bausch: Wir machen das bislang nicht und haben das in der Regierung auch noch nicht diskutiert. Ich persönlich bin da sehr zurückhaltend: Wir müssen immer die Proportionalität im Auge behalten. Wie viel Rechtsstaatlichkeit und Privatsphäre opfern wir? In China geht man da sehr weit, weil der Staat alles entscheidet und keine Hemmungen da sind. Über die Nutzung anonymisierter Daten kann man sicher diskutieren, aber man sollte nicht mit der dicksten Kanone schießen.

Luxemburger Wort: Wie sieht es mit den Kontrollen an den Grenzen aus? Werden diese immer von Beamten beider Länder durchgeführt?

François Bausch: Wir haben glücklicherweise mit den Nachbarländern Regelungen gefunden, damit die Grenzpendler weiterhin an ihren Arbeitsplatz gelangen. Wir führen zwar selbst keine Kontrollen durch, helfen aber den ausländischen Autoritäten, damit das möglichst reibungslos passiert. Auf deutscher und französischer Seite wird streng kontrolliert, das kann ich auch zum Teil nachvollziehen. Es gab zu Beginn der Krise noch immer Tanktourismus nach Luxemburg, was natürlich überflüssige Bewegungen waren. Aber insgesamt funktioniert es, den Umständen entsprechend, relativ gut.

Luxemburger Wort: Es. gab Irritationen, weil Deutschland ohne Absprache einige Übergänge am nördlichen Teil der Grenze zu Luxemburg geschlossen hatte. Die Regierung musste eingreifen. Was ist da in der Kommunikation schiefgelaufen?

François Bausch: In Deutschland sind viele Entscheidungen Hals über Kopf getroffen worden, weil die Sorge vor italienischen Zuständen groß war. Solche Schüsse aus der Hüfte heraus bringen aber selten etwas. Ich habe mehrfach bei der europäischen Kommissarin für Inneres interveniert und auch zweimal bei Videokonferenzen der europäischen Innenminister. Außenminister Jean Asselborn (LSAP) hat auch über diplomatische Kanäle Druck gemacht.

Luxemburger Wort: Zur Armee: Wie viele Soldaten waren bisher im Einsatz? Was haben sie gemacht, und kann man die Kosten des Einsatzes abschätzen?

François Bausch: Bislang hatten wir insgesamt rund 150 Soldaten im Einsatz. Am Anfang ging es vor allem darum, eine Reihe von Dingen aufzubauen. Beispielsweise die 65 Betten beim Centre hospitalier du Nord, oder 37 Zelte in den vier Centres de soins avancés. Hinzu kommt der Transport des Gesundheitsmaterials, das am Flughafen ankommt. Aktuell sind noch 75 Armeeangehörige im Einsatz, um administrative und logistische Hilfe zu leisten. Wir haben aber auch Leute abgestellt, die für den CGDIS mit Krankenwagen im Einsatz sind. Außerdem sichern wir eine Reihe von Gebäuden, vor allem die Reserve des Gesundheitsmaterials, aber auch das Gesundheitsministerium, weil viele Menschen in ihrer Nervosität unnötigerweise dorthin gegangen sind. Darüber hinaus erfüllt die Armee auch noch ihre üblichen Aufgaben, wie den Minenraumdienst. Wir bereiten zudem Auslandseinsätze in Mali, Litauen und Afghanistan vor, die in den nächsten Monaten anlaufen werden. Viele Soldaten sind im Stand-by, sie wurden in Gruppen aufgeteilt, damit sie sich nicht gegenseitig anstecken.

Luxemburger Wort: Sie haben den Armee-Einsatz am Krankenhaus in Ettelbrück angesprochen. Ist die Direktion auf Sie zugekommen oder das Gesundheitsministerium? Wie muss man sich das vorstellen?

François Bausch: Gilles Feith, mein chef de cabinet im Verteidigungsministerium, ist auf Anfrage von Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) in die nationale Krisenzelle gewechselt und kümmert sich dort um die Logistik. Er leistet dort eine exzellente Arbeit und unterbreitet eine Reihe von Vorschlägen. Die Feldzelte, die in Ettelbrück errichtet wurden, stammen aus dem Bestand der Armee.

Luxemburger Wort: Kurz nachdem der öffentliche Transport am 1. März gratis wurde, sind die Fahrgastzahlen eingebrochen. Während in der ersten Monatswoche noch 34 000 Personen täglich mit der Tram fuhren, waren es am 3L März gerade einmal 1258. Auch wenn es nötig ist, blutet Ihnen da nicht doch etwas das Herz?

François Bausch: Der enorme Elan rund um den öffentlichen Transport, den wir auch aufgrund unserer Kampagne hatten, wurde natürlich immens gebremst. Ich bin aber optimistisch, dass wir diese Zahlen wieder erreichen werden. Wir werden ja auch weiter an unserem Angebot arbeiten. Leider stehen momentan unsere Baustellen still, dabei kamen die Arbeiten wegen des milden Winters gut voran und ich hatte bereits gehofft, wir könnten sie früher als geplant abschließen. Nach der Krise müssen wir die verlorene Zeit wieder aufholen, beispielsweise im Kollektivurlaub. Darüber werden wir Gespräche mit den Gewerkschaften führen, mit etwas gutem Willen werden wir Lösungen finden. Ich bin zwar optimistisch, dass wir den Elan wiederfinden, aber man muss bedenken, dass es eine Vorlaufzeit von etwa zehn Tagen benötigen wird, bis der öffentliche Transport wieder voll funktioniert. So wie wir ihn zurückgefahren haben, werden wir ihn auch wieder rauffahren. Das ist Teil der Exitstrategie, die wir gerade erarbeiten.

Luxemburger Wort: Wie ist es um den Schutz der Angestellten bestellt?

François Bausch: Das Einhalten des Mindestabstands von zwei Metern ist in Bussen und Zügen kein Problem, die Menschen sitzen momentan weit auseinander. Die Fahrer der Tram und der Züge sitzen ohnehin in geschlossenen Kabinen und haben keinen direkten Kontakt mit den Fahrgästen. Bei den Bussen sind die Vordertüren geschlossen und die ersten Sitzreihen gesperrt. Jeder Kontakt mit den Fahrern ist verboten. In den grenzüberschreitenden Linien werden zurzeit auch keine Tickets verkauft. In einem anderen Bereich, bei den Kontrollstationen der SNCT, haben die Mitarbeiter auch klare Vorschriften bekommen, wie sie sich zu verhalten haben. Hier kommen wir gefährdeten Personen künftig entgegen, indem sie, wenn sie in der Krisenzeit ihre Zulassung nicht verlängert haben, keine Strafzettel bekommen. Ich erinnere aber daran, dass man in diesem Fall nicht ins Ausland. fahren darf. Alle anderen Personen sollen ihren Termin wahrnehmen, auch um damit Staus zu einem späteren Zeitraum zu verhindern.

Luxemburger Wort: Auch der Individualverkehr hat stark abgenommen. Man könnte sagen, dass das Virus in einem Monat hier mehr erreicht hat als Déi Gréng während sieben Jahren in der Regierung, oder?

François Bausch: Wenn ich den Menschen verbiete zu fahren, dann fahren sie nicht mehr. Ich glaube aber nicht, dass das der künftige Weg ist. Wir sollten uns. aber Fragen für die Zukunft stellen. Wir gehen in der Krise viel bewusster mit unserem Konsum um und verzichten auf unnötige Fahrten. Sowohl der Handel als auch der Konsument müssen ihre Gewohnheiten hinterfragen.

Luxemburger Wort: Vor der Krise beherrschten grüne Themen wie der Kampf gegen den Klimawandel die politische Agenda. Glauben Sie, dass grüne Politik auch nach der Krise wichtig sein wird?

François Bausch: Ich denke mehr als je zuvor, denn uns wurde der Spiegel vorgehalten und gezeigt, was passiert, wenn unser gewohntes Zusammenleben nicht mehr möglich ist. Der Erde macht ein extremes Klima nichts aus, aber wir Menschen brauchen ein bestimmtes Klima und eine bestimmte Menge an Sauerstoff, damit unser Organismus funktioniert. Wir sollten diese Krise als Lehre betrachten für das, was passiert, wenn wir nicht langfristig denken und handeln. Auch wenn die Corona-Krise dramatisch ist, haben wir doch noch Möglichkeiten, um sie zu lösen. Bei einem veränderten Klima könnten wir nur noch teils dramatische Schutzmaßnahmen ergreifen.

Luxemburger Wort: Wird sich nicht trotzdem der Ton in der Klimadebatte verändern? Es waren bisher ja vor allem junge Menschen, die den Älteren mit erhobenem Zeigefinger vorgeworfen haben, ihre Zukunft zu gefährden. Jetzt in der Corona-Krise sind besonders ältere Personen gefährdet, und man hat das Gefühl, dass viele Jüngere es anfangs eher auf die leichte Schulter genommen haben.

François Bausch: Ich denke schon. Diese Krise führt uns vor Augen, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und nur als solches überleben kann. Dafür müssen wir über die Generationen hinweg solidarisch zusammenhalten. Der Egoismus hat eine Delle erhalten, und das ist auch gut so.

Luxemburger Wort: Noch eine persönliche Frage: Wie muss man sich François Bausch in dieser Zeit beim Einkaufen vorstellen? Tragen Sie Handschuhe und Schutzmaske?

François Bausch: Ich bestelle viel bei lokalen Händlern aus der Hauptstadt, beispielsweise Fleisch oder Gemüse, das wir nach Hause geliefert bekommen. Wenn ich einkaufen gehe, desinfiziere ich mir so gut es geht die Hände. Ich versuche auch einen Mundschutz zu tragen, aber ich gebe zu, dass ich das noch zu oft vergesse, obwohl ich die Maske immer in der Tasche habe. Die Asiaten sind uns Europäern darin aufgrund vergangener Krisen weit voraus. Hieraus sollten wir Lehren ziehen und versuchen uns selbst und andere zu schützen.

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