Offener Brief an die europäische Kommissarin für Transport

Aufruf zu massiven Investitionen in den Ausbau des europäischen Schienennetzes

In Fortführung dessen was Luxemburg kontinuierlich als Standpunkt vertreten hat, sowie zuletzt bei den informellen Videokonferenzen im April und Juni will ich mich direkt an Sie wenden mit der Bitte mehr in die europäische Eisenbahninfrastruktur zu investieren.

Die heutige Eisenbahn ist das Transportmittel des 21. Jahrhunderts, aber zwei Haupthindernisse stehen der Entwicklung des Schienenverkehrs in Europa und insbesondere für internationale Verbindungen im Wege, trotz der Fortschritte, die dank europäischer Initiativen und insbesondere dank der TEN-T und CEF Programme erzielt wurden.

Erstens sind wir mit einem Mangel an Kohärenz und Koordination des Netzwerks konfrontiert, was insbesondere auf die mangelnde Prioritätssetzung zugunsten grenzüberschreitender Abschnitte zurückzuführen ist. Diese bedauerliche Situation war insbesondere Gegenstand einer kritischen und eingehenden Bestandsaufnahme durch den Europäischen Rechnungshof.

Die gemeinsame Erklärung von Anfang Juni zielt genau darauf ab, konkrete Lösungen vorzuschlagen, um die erste Schwierigkeit zu beheben, indem eine bessere Koordinierung angesteuert wird, um den internationalen Schienenverkehr in Europa zu verbessern.

Zweitens, leiden die europäischen Eisenbahnen unter einem chronischen Investitionsdefizit in die Infrastruktur. Das Ende der aktuellen Krise könnte als Sprungbrett dienen. Die durch die COVID19-Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise hat die EU und ihre Mitgliedstaaten veranlasst, eine Reihe von Rettungspaketen vorzuschlagen. Infolgedessen werden zusätzliche Finanzmittel freigegeben.

Der Austritt aus der COVID19 Krise bietet uns eine einzigartige Gelegenheit, und wir müssen dies als Chance erkennen um eine tiefgreifende Umstellung der Mobilität in Europa zu beschleunigen. Wir müssen diese Gelegenheit nutzen.

Die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der jüngsten Gesundheitskrise und der aktuellen Klimakrise hat den Europäern deutlich gemacht, dass es nicht mehr so weitergehen kann wie bisher. Sie haben verstanden, dass die Verwendung veralteter Ansätze weder kurzfristig noch langfristig zu zufriedenstellenden Lösungen führen kann.

Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, die jetzt verfügbaren Finanzmittel für die Wiederherstellung des Verkehrssektors auszugeben, sondern vielmehr damit dazu beitragen, die europäische Mobilität für alle drastisch zu verbessern. Öffentliche Investitionen müssen zu einem umwälzenden Ergebnis führen. Die zu finanzierenden Projekte sollten klaren Kriterien entsprechen, um die Mobilität nachhaltiger zu gestalten und unsere sozialen Standards zu schützen.

Das ultimative Ziel muss eine intelligente multimodale Mobilität sein, die es uns ermöglicht, den CO2-Austoss drastisch zu reduzieren, die Reisesicherheit zu verbessern und den Verkehr ökologisch und sozial nachhaltig zu gestalten. Der öffentliche Verkehr sollte das Rückgrat des multimodalen Angebots bilden.

Daher halten wir es für wesentlich, die Schlüsselrolle der Eisenbahnen im internationalen Personenverkehr innerhalb der Union zu fördern. Es ist auch wichtig, internationale Schienenpersonenverkehrsdienste anzubieten, um eine echte Alternative zu Kurzstreckenflügen innerhalb der EU anzubieten. Technische Fortschritte und der Einsatz alternativer Kraftstoffe in der Luftfahrt werden die Treibhausgasemissionen reduzieren, jedoch nur geringfügig. Um unsere Klimaziele zu erreichen, ist es unvermeidlich, eine Reduzierung der Inlands- und innereuropäischen Flüge anzustreben, für die es eine Bahnalternative gibt. Das Bahnangebot ist zurzeit noch akzeptabel obwohl sie einem dramatischen strukturellen Rückgang ausgesetzt war seit der Liberalisierung des internationalen Schienenverkehrs ab dem 1. Januar 2010. Dies muss jedoch durch erhebliche Investitionen in Infrastruktur und Fahrmaterial schnell wiederbelebt werden, ohne jedoch das Schlüsselelement der Interoperabilität zu vergessen.

Meine Botschaft ist daher relativ einfach: um den Zug zu einer echten Alternative zum Flugzeug und zum Auto zu machen, müssen massive Investitionen in die Schieneninfrastruktur getätigt werden. Insbesondere in den wichtigsten strategischen Strecken, und umso mehr in grenzüberschreitenden Abschnitten, die vorrangig umgesetzt werden müssen, um ein vollständiges, digitales und umfassendes europäisches Schienennetz zu erreichen. Der derzeitige Zeitplan für die Fertigstellung des transeuropäischen Verkehrsnetzes muss ebenfalls überarbeitet werden, um ihn viel ehrgeiziger zu gestalten.

Für die innereuropäische Mobilität reicht eine Wiederbelebung nicht. Wir brauchen einen wahren Umbruch!

Schlussendlich kann ich mich nicht an Sie wenden zu diesem Thema, ohne ein Wort über aktive Mobilität und insbesondere das Radfahren zu verlieren. Die Einschränkungen, die in Zeiten der Beschränkung des öffentlichen Verkehrs galten und noch zum Teil gelten, haben es vielen Menschen ermöglicht, die Vorteile des Fahrradfahrens zu entdecken, insbesondere seine Unabhängigkeit und Effizienz. 2017 wurde der derzeitigen Kommissarin Violeta Bulc ein Projekt für eine europäische Fahrradstrategie übergeben. Trotz der Begeisterung für diese Initiative und einiger punktueller Verbesserungen in Bezug auf die Betrachtung des Fahrrads als Transportmittel bleibt das Gesamtbild leider eher enttäuschend. Um insbesondere unsere klimatischen Ziele zu erreichen, aber auch aus vielen anderen guten Gründen wie der Einsparung von Stadtraum, der Schaffung lokaler Arbeitsplätze oder den nachgewiesenen Vorteilen für die Gesundheit, kann Europa keine seröse Verkehrspolitik machen, welche ein Verkehrsmittel weitgehend ignoriert. Obendrein noch eins welches perfekt dem Zeitgeist entspricht und zu allen Hauptzielen der europäischen Politik beiträgt. Wenn wir die aktive Mobilität nicht in die Mobilitätskonzepte einbeziehen, verlieren wir das reale Potenzial welches aktive Mobilität schnell und kostengünstig zur Klima-, Verkehrs- oder Gesundheitspolitik beitragen kann. Ich plädiere deshalb für eine vollständige und zeitnahe Umsetzung der europäischen Fahrradstrategie.

Bei der bevorstehenden Neugestaltung der TEN-T Verordnung sollten diese Überlegungen in vollem Umfang berücksichtigt werden, um eine schnellere Umsetzung einer nachhaltigen und verantwortungsvollen multimodalen Mobilität zu ermöglichen.

Ich persönlich und mein gesamtes Team stehen Ihnen zur Verfügung, um bilateral oder in einem breiteren Kontext dieses Thema zu besprechen.

François Bausch
Vizepremierminister
Minister für Mobilität und öffentliche Arbeiten

 

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