"Europa noch immer Vorreiter". Claude Wiseler et Marco Schank au sujet du sommet de l'ONU sur le changement climatique

Tageblatt: Von außen gesehen scheinen die Verhandlungen blockiert zu sein. Ist das auch Ihr Eindruck?

Claude Wiseler: Ich würde das nicht blockiert nennen. Aber die Verhandlungen sind schwierig und wir kommen momentan nicht vom Fleck. Die Zeit läuft uns davon. Es ist aber immer noch möglich, zu einer Einigung zu kommen.

Tageblatt: Derzeit wird heftig gestritten, wie Kioto weitergeführt werden soll, ob es einen, zwei oder drei Texte geben soll. Sind das nicht Formalitäten?

Claude Wiseler: Das ist keine Formalität. Europa will Kioto keinesfalls blockieren, wie behauptet wird. Für Europa ist aber wichtig, dass man weiter geht, dass man ambitionierter als Kioto ist. Die Unterzeichner des Kioto-Protokolls stoßen nur ein Drittel des globalen Kohlendioxids aus. Wollen wir weiterkommen und unsere Klimaziele erreichen, dann müssen sich auch andere Länder beteiligen. China und die Vereinigten Staaten stoßen die Hälfte des Kohlendioxids aus. Da können wir als Europäer so viel tun, wie wir wollen, wir schaffen das nicht allein. Wir brauchen jeden, der hier in Kopenhagen mitverhandelt. Wir wollen über Kioto hinausgehen.

Tageblatt: Inhaltlich scheinen die Positionen nicht so weit auseinanderzuliegen: Die USA wollen reduzieren, China will weniger Kohlendioxid pro Einheit des Bruttoinlandsprodukts ausstoßen. Es liegt viel auf dem Tisch. Warum kommt man nicht weiter?

Claude Wiseler: Deswegen haben wir die Hoffnung auch nicht aufgegeben. Man muss aber immer auch prüfen, ob dasjenige, was auf dem Tisch liegt, auch hilft, den gemeinsamen Klimazielen näher zu kommen.

Marco Schank: Ein solcher Gipfel ist ein Prozess. Die Verhandlungspartner legen ihre Karten relativ spät definitiv auf den Tisch. Jeder versucht, die eigenen Standpunkte hervorheben und bis zum Schluss zu taktieren, um in einer starken Position zu sein. Das passiert jetzt. Es wird jetzt hektischer werden, auch mit der Ankunft der Staats- und Regierungschefs. Die Kontakte hinter den Kulissen werden jetzt verstärkt. Es wird vermehrt auf informeller Ebene geredet. Deshalb besteht noch Hoffnung.

Tageblatt: Welche Rolle spielt die Finanzierung? Die EU wie auch die USA haben da konkrete Vorschläge gemacht.

Claude Wiseler: Die Finanzierung ist eines der großen Themen, die jetzt auf dem Tisch liegen. Das erste große Thema ist dasjenige, das Sie angesprochen haben, Kioto. Die zweite Frage ist für uns die Zielsetzung der EU, den CO2-Ausstoß um 20 oder möglichst 30 Prozent zu reduzieren: Was machen die anderen? Die dritte Frage ist die Finanzierung. Die Position der Europäischen Union zur kurzfristigen Finanzierung und zur Finanzierung liegt relativ klar auf dem Tisch.

Tageblatt: Wie können die Verhandlungen so geführt werden, dass sie zu einem Abkommen gelangen?

Claude Wiseler: Die Präsidentschaft der Konferenz führt viele bilaterale Gespräche. Auch die Europäische Union hat eine ganze Reihe von Koordinationssitzungen. Wir vertrauen der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft und unterstützen sie.

Tageblatt: Die Europäische Union hat sich lange als Vorreiterin in der Klimapolitik verstanden. Muss jetzt noch mal nachgebessert werden, um die Konferenz zu einem Erfolg zu führen?

Claude Wiseler: Europa versteht sich noch immer als ein Vorreiter. Den Vorsprung, den wir bisher hatten, haben wir noch immer. Jetzt stellt sich für uns die Frage, von den 20 Prozent als Mindestangebot auf 30 Prozent hochzugehen. Es ist unser absolutes Ziel, diese 30 Prozent zu erreichen. Wir möchten, dass andere Industrieländer vergleichbare Verpflichtungen eingehen und dass sich Schwellenländer ebenfalls verpflichten, Maßnahmen zu treffen.

Tageblatt: Was würde eine vergleichbare Verpflichtung etwa der USA sein?

Claude Wiseler: Da müssen wir das Vertrauen in die schwedische Ratspräsidentschaft haben, dass sie einschätzen kann, wann der richtige Zeitpunkt ist, auf 30 Prozent hochzugehen. Es geht dabei nicht nur um eine Zahl.

Marco Schank: Es geht nicht nur um die Vereinigten Staaten, sondern auch um China und andere. Indien hat einige Tage vor der Konferenz Zahlen auf den Tisch gelegt, Brasilien auch. Aber jetzt geht es ans Eingemachte. Darüber wird in den informellen Gesprächen diskutiert, und da kann man von außen kaum hineinsehen.

Tageblatt: Die Klimaverhandlungen sind viele Jahre durch das Abseitsstehen der USA belastet gewesen. Welche Rolle kann US-Präsident Barack Obama spielen?

Marco Schank: Wir brauchen einen Einstieg der Amerikaner.

Claude Wiseler: Präsident Obama ist eine Hoffnung für den Gipfel. Diese große Präsenz der Staats- und Regierungschefs war am Anfang nicht vorgesehen. Es hat sich erst in den letzten Wochen herausgeschält, dass eine so große Zahl nach Kopenhagen kommen wird. Das erhöht jetzt den Druck auf die Verhandlungspartner am Tisch. Und das ist auch gut so.

Marco Schank: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Staats- und Regierungschefs nach Hause reisen wollen und sagen müssen, sie hätten nichts erreicht.

Claude Wiseler: Die Europäische Union hat den absoluten Willen, hier zu einer Einigung zu kommen.

Tageblatt: Wird also am Samstagmorgen eine Einigung vorliegen?

Claude Wiseler: Spätestens, so hoffe ich, wenn nicht schon früher. Es ist sehr schwierig, eine Zeit anzugeben.

Marco Schank: Wir hoffen das, und wir gehen davon aus.

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