Interview von François Bausch im Télécran

"Die CO2-Bepreisung kommt bestimmt"

Interview: Télécran (Wolf Von Leipzig)

Télécran: Wie lautet Ihre Zwischenbilanz nach der Einführung des Gratistransports am 29. Februar 2020?

François Bausch: Der Gratistransport ist für uns nur ein Hebel, ein Instrument dafür, den Fokus auf den öffentlichen Verkehr zu richten. Und wir haben das schließlich an den Zahlen zwischen Ende Februar und Anfang März gemerkt. Auch international fand unsere Mobilitätsstrategie, etwa in der Presse, ein großes Echo. Dann brach die Corona-Krise aus und machte uns einen Strich durch die Rechnung. Sie hat uns insofern ausgebremst, als dass die Nutzerzahlen stark gesunken sind. Gleichzeitig hat mit Corona jedoch auch ein Umdenken bei den Menschen eingesetzt, die ihr Verhalten geändert haben. In dem Maß wie sich die Lage normalisiert, werden jedoch die alten Probleme wieder auftauchen. Corona ist nur eine Zwischenepisode und stellt unsere Strategie keinesfalls in Frage. Wir haben in der Anfangsphase einen immensen Elan erlebt, und der wird auch zurückkommen, wenn diese Krise vorüber ist.

Télécran: Der Verkehr in Luxemburg dürfte also auch in Zukunft zunehmen?

François Bausch: Wir erwarten, dass durch das Wirtschaftswachstum die Mobilität in Luxemburg bis 2025 um 20 Prozent wachsen wird. Es gibt zwei Faktoren, die uns jedoch helfen: Die Nutzung des Fahrrads hat sich phänomenal nach oben entwickelt, und das nicht nur in der Freizeit, sondern auch im Alltag. Der andere ist das Homeoffice, das zu einem Rückgang des Verkehrs führt. Beides zusammen nimmt etwas Druck weg bei der Erreichung unserer Verkehrsziele bis 2025.

Télécran: Sieht man einmal von der Tram ab: Wird in der Hauptstadt genug getan, um der alternativen Mobilität dort zum Durchbruch zu verhelfen?

François Bausch: Es fehlt einfach die entsprechende Infrastruktur in der Hauptstadt, aber nicht nur dort. Die Städte und Gemeinden im Land müssen sich bewusst werden, dass das Rad künftig bei Gemeindewahlen ein wichtiges Thema wird, weil die Leute Lust haben, Rad zu fahren. Daher stehen die Gemeinden in der Verantwortung, klar getrennte Radwege zu bauen. Der Staat hilft, wo er kann, aber die Gemeinden müssen auch Verantwortung übernehmen und investieren. Mit der Tram entsteht in der Hauptstadt zugleich eine zentrale Achse für die nationalen Radwege. Der Stadt Luxemburg obliegt es, in den Vierteln die Anbindungen an diese zentrale Achse und außerhalb der Stadt an das nationale Radnetz zu schaffen. Durch die Pedelec-Technologie kann man heute mit dem Rad nicht nur schneller, sondern auch weiter fahren als zuvor. Heute kann man mit dem Pedelec von Bettemburg oder Esch/Alzette ermüdungsfrei die Hauptstadt erreichen. So planen wir demnächst Express-Radwege von Bettemburg und von Esch/ Alzette in die Stadt zu bauen. Luxemburg und die anderen Gemeinden im Land müssen politisch Mut zeigen, dafür Parkplätze wegnehmen und den öffentlichen Raum nutzen.

Télécran: Wie stärkt man das Sicherheitsgefühl von Radfahrern gegenüber Autos, wenn Radspuren häufig nur mit dem Pinsel gezogen sind, aber auch das von Fußgängern gegenüber Radfahrern etwa im Stadtpark?

François Bausch: Das Nebeneinander Fußgänger-Radfahrer im Stadtpark war ursprünglich eine Notlösung und hat gut funktioniert, solange es wenige Radfahrer gab. Jetzt tauchen die klassischen Konflikte auf, weil der Radverkehr zunimmt und beide nicht klar voneinander getrennt sind. Die optimale Lösung für Luxemburg scheint mir ein Radweg auf dem Prinzenring in beide Richtungen zwischen dem Rond-point Schuman und Pont Adolphe. Generell brauchen wir klar getrennte Wege für Fußgänger, Radfahrer und Autos.

Télécran: Beim nationalen Busnetz RGTR stehen Änderungen ins Haus...

François Bausch: Die eigentliche Umstellung kommt im Dezember. Erst mit der Tram-Anbindung des Bahnhofs wird das große Ziel erreicht, den RGTR-Verkehr aus der Hauptstadt herauszunehmen. Dann werden diese Buslinien entweder am Bahnhof oder am Kirchberg enden. Ausnahmen sind die beiden Umsteigeknotenpunkte Stäreplaz und Faïencerie im Zentrum für einige Busse. Später kommt die Anbindung von Howald und des Flughafens hinzu. Die nächste Etappe ist dann die Verbindung zwischen dem Ban de Gasperich und Esch-Belval. Neben der Hauptstadt wird unseren Berechnungen zufolge das stärkste Verkehrswachstum im Süden, das heißt Esch-Belval und Schifflingen, stattfinden. Zwischen beiden Ballungsgebieten wird es starke Verkehrsflüsse geben. Ein multimodaler Korridor zwischen Luxemburg und Esch/Alzette bestehend aus Busspur und Express-Radweg wird eines Tages beide Städte und ihre Tramnetze miteinander verbinden.

Télécran: Stichwort Schülertransport: Schüler sind heute teils bis zu anderthalb Stunden unterwegs, um in die Schule zu gelangen. Wie ist dieser Missstand zu beheben?

François Bausch: Erstens, indem wir in den nächsten zwei, drei Jahren Schülertransport und RGTR-Netz schrittweise voneinander trennen. Zweitens könnte der Schülertransport besser funktionieren, wenn wir den Unterrichtsbeginn zeitversetzt organisieren. Das geht nur, wenn das Erziehungsministerium mitmacht. Ich verstehe, dass das für Eltern und Lehrpersonal nicht einfach ist, doch wir sollten dies ohne Tabu diskutieren.

Télécran: Wie kann man den 200000 Berufspendlern den Umstieg auf Bahn, Bus und Tram schmackhafter machen?

François Bausch: Das Grenzgänger-Problem können wir nur lösen, indem wir die Infrastrukturen über die Grenzen hinaus denken und auch bauen. Daher war es wichtig, dass wir mit Paris ein Übereinkommen getroffen haben und 120 Millionen Euro dafür investieren, dass nach dem doppelgleisigen Ausbau der Strecke nach Bettemburg auch die Strecke nach Thionville modernisiert wird. Generell meine ich, dass es in unserem ureigenen Interesse ist, den öffentlichen Verkehr nicht nur über die Grenzen hinaus zu planen, sondern auch mitzufinanzieren. Das Gleiche gilt für die sogenannte "Weststrecke" nach Trier. Alles was wir dort mitfinanzieren, entlastet uns — auch finanziell — in Luxemburg. Viele Umgehungsstraßen würden dann unnötig.

Télécran: Dem Nationalen Energieplan zufolge soll die Elektromobilität 2030 die Hälfte des Verkehrs ausmachen. Ist das realistisch?

François Bausch: Wir haben ja die Prämien für die Elektromobilität angehoben und das hat auch gewirkt. Wobei uns eine Reihe von EU-Richtlinien geholfen haben, welche die Automobilhersteller stärker in die Pflicht nehmen, den Flottenverbrauch zu reduzieren. Das dürfte zu einem Technologiesprung führen. Doch das Wichtigste ist der Ausbau der Infrastruktur. Bis Ende 2021 werden wir im ganzen Land ein Netz von 85 Schnellladestationen bauen, und zwar nicht nur auf den Autobahnen, sondern auch in den Städten und anderswo, etwa auf Kirchberg oder auf der N 7 im Norden. Zusätzlich wollen wir die Zahl der regulären Ladestationen von 800 auf 1600 bis Ende 2021 verdoppeln. Die Einweihung von zwei Schnellladestationen im Januar ist der symbolische Startschuss für die Elektromobilität.

Télécran: Ist die Elektromobilität wirklich die Antwort?

François Bausch: Klar ist: Wenn wir den thermischen Stau durch einen elektrischen Stau ersetzen, dann haben wir nichts erreicht. Elektromobilität ist nur sinnvoll, wenn der Strom aus erneuerbarer Energie produziert wird. Da sehe ich jedoch kein Problem. Zugleich soll man immer technologie-offen bleiben: In Zukunft werden noch andere Technologien kommen - Wasserstoff wird sicher auch eine Rolle spielen. Wir brauchen einfach eine andere Mobilität. Es gibt kein Wundermittel, das alle Probleme auf einmal löst. Vielmehr ist es die Verbindung mehrerer Verkehrsmittel.

Télécran: Wenn Argumente nicht weiterhelfen: Könnten Sie sich auch die Einführung einer City-Maut vorstellen, um die Menschen zum Umsteigen zu bewegen? Frei nach dem Verursacher-Prinzip...

François Bausch: Die CO2-Bepreisung kommt bestimmt, sie muss kommen - nicht nur aus Umweltgründen, sondern allein schon aus Verteilungsgerechtigkeit. Die Briten reden von "Karotte und Stock"... Doch bevor man zum Stock greift, muss man eine Alternative anbieten. Wenn einmal Tram, Park&Ride und Radwege bestehen, dann kann ich mir eine City-Maut durchaus vorstellen. Ich bin dennoch überzeugt, dass das Gros der Bevölkerung das Angebot nutzt, weil sie die Vorteile erkennt. Wenn einige Unverbesserliche ihr Verhalten trotzdem nicht ändern, dann müssen sie halt dafür bezahlen. Die Stadt muss so zugänglich bleiben, ohne dass die Lebensqualität der Stadtbewohner darunter leidet. Ich bin überzeugt, dass die Städte, denen das gelingt, zu den Gewinnern des 21. Jahrhunderts gehören werden.

Télécran: Jüngst haben Sie in Berlin gesagt: "Die Menschen werden auf das 21. Jahrhundert zurückblicken und darüber lachen, wie ineffizient wir heute unsere Mobilität organisieren." Wie war das gemeint?

François Bausch: Die junge Generation von heute hat eine ganz andere Vorstellung vom Leben in der Stadt. Wenn 2050 70 Prozent der Weltbevölkerung in urbanen Räumen leben, dann hat das einen Grund. Damit die Stadt dann noch lebenswert ist, muss die Mobilität ganz anders organisiert werden. Die Digitalisierung hilft dabei mittels autonomen Fahrens und intelligenter Ampeln, doch das Grundproblem bleibt ein Mobilitätsproblem. Ausschlaggebend ist die Planung, die sich verändern muss. Wir planen nicht länger Infrastrukturen, die Fahrzeuge bewegen, sondern Infrastrukturen, die Menschen transportieren. Das ist ein fundamentaler Unterschied.

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