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Interview von Carole Dieschbourg in der Revue

Interview: Revue (Chrëscht Beneké)

Revue: Der Klimavertrag von Paris wurde als großer Erfolg gefeiert und Ihre Verhandlungsführung sehr gelobt. Wie lautet drei Jahre später Ihr persönliches Urteil?

Carole Dieschbourg: Der Weltklimavertrag ist der erste Vertrag, der global gilt und nicht nach Industrie- und Entwicklungsländern unterscheidet. Er erfüllt die Ambitionen, die man an so einen Rahmenvertrag haben kann und ermöglicht uns, mehrere wichtige Ziele zu erreichen: die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzen, den am meisten betroffenen Ländern bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen, und mehr Resilienz zu erreichen (die Fähigkeit eines Ökosystems, nach einer Störung zum Ausgangszustand zurückzukehren. Anm.d.Red.). Mir war wichtig, die Interessen der besonders betroffenen Inselstaaten im Vertrag zu berücksichtigen und die Finanzströme zu reorientieren. Natürlich gibt es immer noch rückwärtsgewandte Klimaskeptiker, beispielsweise in den USA und in Brasilien. Aber der Rest der Welt hat in einer Rekordzeit ratifiziert und zum ersten Mal konkrete Klimaschutz-plane vorgelegt.

Revue: Selbst beim peniblen Erfüllen des Pariser Vertrags inklusive durch die USA wäre laut IPCC das wahrscheinlichste Szenario immer noch drei bis vier Grad Erwärmung. Doch gerade mal sieben Länder halten ihre Zusagen überhaupt ein, und trotz jahrzehntelanger Diskussionen sind die CO2-Emissionen 2017 um 1,4 Prozent auf eine neue Rekordhöhe gestiegen. Wie sollen da 1,5 oder auch 2 Grad eingehalten werden?

Carole Dieschbourg: Zunächst einmal zeigt die IPCC-Studie, dass alle Technologien verfügbar sind, um den Klimawandel aufzuhalten. Jetzt braucht es politischen Willen, um das Versprechen von Paris einzulösen. Wir haben in Paris vereinbart, dass wir alle fünf Jahre unsere Ziele hochschrauben. Dank sauberer Technologien wird unser Klimaabdruck reduziert, und wir erreichen erstmals eine Entkopplung zwischen Wirtschaftswachstum und CO2-Emissionen. Hier in Luxemburg wurde beispielsweise viel gebaut, aber gleichzeitig haben wir unsere Emissionen reduziert, weil die Wohnungen effizienter werden, d.h. weniger fossile Energien verbrauchen. Wohlstand schaffen und ambitiösen Klimaschutz betreiben, schließen einander nicht gegenseitig aus. Diese Botschaft ist besonders in Ländern wichtig, in denen sich die Bevölkerung erst einmal nach einer sozialen und medizinischen Grundabsicherung sehnt.

Revue: Im globalen Klimavertrag stecken aber ziemlich ungleiche Partner und der Klimawandel ist für Länder mit bewaffneten Konflikten oder Millionen unterernährter Bürger weit weg. Wie kriegt man die unter einen Hut?

Carole Dieschbourg: Wir werden die Armutskrise nicht lösen, ohne uns um die Umwelt- und Klimakrise zu kümmern.

Und wir können keine größere Krise — Migration, Krieg und Hunger — bekämpfen, ohne den Respekt vor dem Planeten wiederherzustellen, der uns alle ernährt. Genau deshalb brauchen wir ein gemeinsames Regelwerk, in dem die Solidarität enorm wichtig ist. Mit unseren Zielländern, die wie der Senegal teilweise bloß 0,6 Tonnen CO2 pro Kopf emittieren, arbeiten wir konkret zusammen. Auch hier gilt das Entkoppeln von Wachstum und steigendem CO2-Ausstoss. Die Wiederaufforstung der Mangrovenwälder im Senegal z.B. ist nicht nur wichtig, um die zunehmende Verwüstung zu stoppen, sondern auch für den CO2-Haushalt des Landes. Da die Industrieländer für den Klimawandel verantwortlich sind, haben wir auch die historische Verpflichtung, den Entwicklungsländern bei einer nachhaltigen Entwicklung zu helfen. Europa soll dabei beim Klimaschutz weltweit Vorreiter sein. In einer Welt, die zunehmend unstabiler zu werden scheint, müssen wir ein verlässlicher und solidarischer Partner sein. Ich glaube fest daran, dass der Kampf gegen den Klimawandel, gegen Konsumüberfluss und Ungleichheit, das Potenzial hat, uns Menschen wieder näher zusammen zu bringen. Es ist eine Frage von gelebter Gemeinschaft und Gerechtigkeit.

Revue: Aus der weiten Welt nach Luxemburg: Ist eine konkrete luxemburgische Klimastrategie mit minus 40 Prozent CO2-Reduktion bis 2030 (zum Stand von 1990) in Brüssel eingereicht?

Carole Dieschbourg: Die nächste Zielmarke ist erst einmal 2020: Luxemburg wird dabei sein Reduktionsziel einhalten. Die Klimastrategie für 2030 steht kurz vor ihrem Abschluss und basiert mit minus 40 Prozent Emissionen auf einem der höchsten Reduktionsziele in Europa. Derzeit liegt unser Land mit jährlichen Pro-Kopf-Emissionen von rund 17 Tonnen CO2-Emissionen hoch. Mit 40 Prozent Reduktion erreichen wir den Stand anderer europäischer Länder, bzw. liegen noch immer weit darüber. Klimaschutz erfordert eine große Anstrengung von allen Akteuren, von jedem Einzelnen und natürlich auch der Industrie, birgt jedoch auch viele konkrete Chancen. Mit mehr Effizienz und mehr erneuerbaren Energien werden wir beispielsweise unabhängiger von Energieimporten und können mehr in die lokale Wirtschaft investieren.

Revue: Was bedeuten solche abstrakten Mengen aber für das Leben eines revue-Lesers, der nächstens zehn Tonnen ausstoßen soll? Für den Urlaub, eine Flugreise, den geliebten SUV?

Carole Dieschbourg: Vielleicht müssen wir unsere Konsummuster etwas überdenken. Die Autolobby beispielsweise verkauft eine Autofahrt als Megafreiheit. Doch was ist daran frei? Das Auto wird von einem Brennstoff angetrieben, der ein politisches System unterstützt, das wir eigentlich ablehnen. Wenn ich dagegen in einem Niedrigenergiehaus mit Photovoltaik meine Energie selber produziere, damit nicht mehr von Ölscheichs oder Gas aus Russland abhängig bin, dann gibt mir das ein neues Gefühl von Unabhängigkeit. Dies ermöglicht es mir, neue Wege zu gehen. Das ist für mich Freiheit und kann zu mehr Zufriedenheit führen. Der Wandel zu einem bewussteren Leben eröffnet durchaus neue Perspektiven. Darauf will ich den Menschen Lust machen.

Revue: Für viele Menschen steht der Traum vom Fliegen für Freiheit. Weltweit stammen rund fünf Prozent der klimaschädlichen Gase von der Luftfahrt und die teils staatlichen Cargolux und Luxair nehmen weiter neue Jumbos in Betrieb, die nach zwölf Jahren, 2030, vielleicht mal so eben abgeschrieben aber noch lange nicht am Lebensende sind. Wie passen ambitionierter Klimaschutz und der Klimakiller Luftverkehr zusammen?

Carole Dieschbourg: Zunächst einmal: Null Emissionen für 2050 heißt in der Summe Null nicht, dass man überhaupt kein CO2 mehr ausstoßen darf. Zudem beflügelt Klimaschutz die Innovation. Nehmen Sie den engagierten Klimaschützer und Entdecker Bertrand Piccard. Der sagt: "Ich will gerne ich sein", macht den Pilotenschein und umrundet erst mit dem Heißluftballon und dann mit seinem Flugzeug "Solar Impulse" ohne ein Tropfen Kerosin die Welt. Wir reden so viel von neuen Technologien: Warum nutzen wir dann nicht viel mehr unsere Kreativität, um die Entwicklungen von alternativen Arten der Fortbewegung zu beschleunigen? Sowohl in der Luftfahrt, wie auch in der Schifffahrt, werden sich Wege finden, wie diese Bereiche sauber werden. Damit Investitionen schneller in die richtige Richtung gehen, brauchen Politiker aber auch den Mut, ambitionierte Ziele vorzugeben und Regelwerke zu schaffen. Wir können nicht bei Technologien aus der Steinzeit stehen bleiben, uns nicht wie aktuell der US-Präsident rückwärts wenden. Die Steinzeit war nicht vorbei, weil es keine Steine mehr gab, wie Camille Gira sagte. Der Klimawandel birgt gravierende Risiken von Instabilität, Konflikten und Migration. Wenn wir zukünftigen Generationen eine Chance auf Wohlstand und Stabilität geben wollen, dann müssen wir jetzt handeln.

Revue: Fühlen Sie sich von der Gesellschaft und Ihren Ministerkollegen genug unterstützt um eine solche Revolution anzustoßen? Die deutsche Autoindustrie oder jetzt gerade die „Gilets Jaunes zeigen doch, dass weite Teile der Gesellschaft im Wesen konservativ sind.

Carole Dieschbourg: Viele Menschen wollen in Umweltfragen dazu beitragen, dass unsere Kinder eine lebenswerte Zukunft haben. Doch leider sind ihre Wahlmöglichkeiten im Alltag nicht immer einfach zu sehen. In Luxemburg gibt es mit dem 2012 eingeführten Klimapakt bereits eine generelle Mobilisierung, wo sich auf lokaler Ebene die Politiker Einsparpotenzial suchen. Natürlich reicht das alles noch nicht. Noch spielt der Klimaschutz nicht bei jeder politischen Entscheidung eine Rolle, aber da müssen wir hin.

Revue: Die Grünen haben das Image als Verbotspartei, doch sind sie auf dem Weg zur Volkspartei. Machen Sie die grünen Wahlsiege auch am Klimawandel fest?

Carole Dieschbourg: Eine klare Positionierung, auch wie in Bayern zur Migrationsfrage oder zum Umweltschutz, ist gerade in Zeiten starker populistischer Bewegungen und sozialer Medien wichtig. Und Verbote, mal ehrlich: Wenn wir in einer Trinkwasserschutzzone gefährliche Pestizide verbieten, wenn wir einer Autoindustrie sagen, dass es nicht sein kann, dass sie uns jahrelang betrügen und der Atomindustrie, dass sie uns existenziell bedroht, dann sage ich deutlich Ja! Dazu müssen wir klare Alternativen bieten, die auch mal mutig sein können. Die Menschen erwarten von der Politik klare Wege und Entscheidungen. Eine saubere Umwelt, gute Luftqualität, sauberes Wasser will doch jeder. Für uns und unsere Kinder.

Revue: Die Welt hat nur begrenzte Ressourcen, aber auch jeder Einzelne. Wie viel Ihrer Energie und Zeit als Umweltministerin nimmt eigentlich der Kampf gegen den Klimawandel ein?

Carole Dieschbourg: Der Klimaschutz ist für mich eine Lebensaufgabe. Jetzt hauptberuflich dafür verantwortlich zu sein, ist natürlich eine Chance. In Paris verhandeln zu können, hat sich sicher jeder Umweltminister gewünscht. Das motiviert natürlich enorm, noch viel mehr für besseren Klimaschutz zu arbeiten. Fürs Klima kämpfen bedeutet, ständig neue Allianzen schließen, persönlich einen Draht zu den Entscheidern in den jeweiligen Mitgliedstaaten halten, zuhause Alternativen anstoßen. Ich versuche Klimaschutz auch aktiv zu leben: Bis zu meinem 27. Lebensjahr hatte ich beispielsweise bewusst kein eigenes Auto, ich esse auch weitestgehend kein Fleisch und fühle mich dennoch sehr wohl.

Revue: Wie haben Sie den Pariser Klimagipfel mit dem ganzen Expertenwissen und den Beratern erlebt?

Carole Dieschbourg: Je mehr man sich mit dem Klimawandel beschäftigt und je mehr Studien und aktuelle Berichte man liest, desto mehr zeigt sich: Das, was vor 20, 30 und sogar 40 Jahren gesagt wurde, trifft tatsächlich zu. Je mehr ich erfahre, je mehr ich mich mit Experten und Wissenschaftlern in ökologischen aber auch ökonomischen Fragen austausche, umso mehr bin ich überzeugt, dass wir uns noch mehr engagieren müssen. Dass heute auf Staatsgipfeln über Natur- und Klimaschutz geredet wird, zeigt, dass diese Themen transversal durch die Regierungen auf der Prioritätenliste stehen. Dabei geht es auch konkret um Wirtschaftsund Finanzpolitik: Wie stellen wir uns eine Wirtschaft vor, die dem gerecht wird? Immer mehr Banken und Versicherungsgesellschaften tragen in ihren Risikoanalysen dem Klimawandel Rechnung. Wenn ein hoher ökologischer Fußabdruck auch ein hohes Investitionsrisiko bedeutet, dann entsteht in der Wirtschaft eine ganz neue Dynamik.

Revue: Sehen Sie persönlich denn tatsächlich die Gefahren von millionenfacher Migration, bewaffneten Konflikten und eigentlich fast einem Endzeitszenario, wie der aktuelle IPCC-Bericht zur 1,5 Grad Schwelle warnt?

Carole Dieschbourg: Ich bin kein Freund von Endzeitszenarien: Doch es ist klar, dass der Klimawandel Konflikte verschärft. Es gibt bereits Studien zum Syrienkonflikt oder anderen Konflikten, die sich auch über klimabedingte Ursachen aufbauen. Wetterextreme erschüttern die politische und wirtschaftliche Stabilität. Wenn wir unser Klima nicht schützen, wird das dramatische Folgen für die Menschheit haben. Unserem Lebensraum, der Erde, ist der Klimawandel eigentlich ziemlich egal. Beim Klimaschutz geht es auch darum, zukünftigen Generationen eine friedliche und stabile Umgebung, eine gerechtere Welt zu hinterlassen.

Revue: Die NY Times beschreibt in "Losing Earth: The decade we almost stopped climate change", wie sich wirtschaftsfreundliche Politiker wie Ronald Reagan und George W. Bush senior um den Klimaschutz drückten, auch weil ihre Generation kaum direkt betroffen war. Sie sind 41, macht Ihnen der Klimawandel Angst?

Carole Dieschbourg: Ich will nicht wissen, was drei oder vier Grad bedeuten, auf die wir aktuell zusteuern. Wir sind derzeit bei über einem Grad Erwärmung zu vorindustriellen Zeiten und merken, wie viel dieses Grad schon ausmacht, spüren bereits die Auswirkungen. Weshalb unsere Klimaschutzpläne auch verbessert werden müssen. Wir sind uns heute viel bewusster als frühere Entscheidungsträger, dass das stattfindet und sich noch verschlimmern wird. Die Dringlichkeit ist bekannt, allerdings gibt es auch heute noch Lobbyisten, die gegen den Klimaschutz arbeiten. Dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen und mutiger werden. Erinnern wir uns an Barack Obama, der 2014 sagte: "Wir sind die erste Generation, die die Folgen des Klimawandels spürt und die letzte, die etwas dagegen tun kann." Diese Einsicht förder Zuversicht. Sie verlangt zugleich allerdings auch viel Mut.

 

 

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