Interview mit Yuriko Backes im Luxemburger Wort

"Es ist ein sehr teures Paket"

100 Tage im Amt: Yuriko Backes über falsche Visionen, ihren Spielraum als Finanzministerin und ungeplante Dinge

Interview: Luxemburger Wort (Marc Schlammes)

Luxemburger Wort: Yuriko Backes, entspricht Ihre Arbeit als Ministerin den Vorstellungen, die Sie davon hatten?

Yuriko Backes: Durch meine frühere Tätigkeit für die Premierminister Juncker und Bettel hatte ich eine gewisse Ahnung, was auf mich zukommt. Doch selbst wenn man gut gebrieft ist, spielt das kaum eine Rolle, wenn ungeahnte Dinge passieren, die zudem in dem Ausmaß nicht vorhersehbar waren. Seit dem 24. Februar ist wieder Krieg in Europa, erleidet die Ukraine eine humanitäre Katastrophe mit vielfältigen Folgen, auf die wir auch in Luxemburg reagieren mussten. Es hat Sanktionen gegeben, den Energiedësch und eine Tripartite mit ihrem Solidaritéitspak. Es war also bislang eine sehr intensive Zeit.

Luxemburger Wort: Dieser Solidaritéitspak mit seinen rund 830 Millionen Euro belastet die öffentlichen Finanzen, die Folgen der Sanktionen gegen Russland sind noch nicht absehbar und davor mussten die Auswirkungen der Pandemie finanziert werden: Sind Sie als Finanzministerin nicht besorgt, dass die öffentlichen Finanzen zu sehr belastet werden und insbesondere die Verschuldung aus dem Ruder läuft?

Yuriko Backes: Für mich gilt, dass so wie im Koalitionsabkommen verankert, die Verschuldungsgrenze von 30 Prozent eingehalten wird. Die Herausforderung als Regierung besteht darin, abzuwägen zwischen der Wahrung der Kaufkraft der Bürger und der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe einerseits und stabilen öffentlichen Finanzen andererseits. Wir müssen beispielsweise auch das Triple A als wichtiges Standortkriterium im Auge behalten. Die Bewältigung der Pandemie mit rund 2,8 Milliarden Euro ist für mich ein gelungenes Beispiel für eine derartige Abwägung. Wobei das Problem bei Krisen immer ist, dass man nie weiß, wie lange sie dauern und ein planbares Vorgehen folglich schwierig ist.

Luxemburger Wort: An der Interpretation des Solidaritätspak scheiden sich die Geister. Weshalb liegt der OGBL falsch mit seiner Behauptung, die Regierung sei vor dem Patronat eingeknickt und beglücke die Betriebe mit der Gießkanne?

Yuriko Backes: Das ist eine falsche Vision der Sachlage. Bei unserer Bestandsaufnahme sind wir zur Schlussfolgerung gelangt, dass die Betriebe Planungssicherheit brauchen und haben uns auf das Prinzip von nicht mehr als einer Indextranche pro Jahr verständigt. Parallel dazu unterstützen wir jene Haushalte, die am meisten unter den Folgen der Inflation leiden. Die EU-Kommission oder auch der Internationale Währungsfonds raten zu gezielten und zeitlich begrenzten Maßnahmen. Das befolgen wir mit dem Solidaritéitspak, der ein sehr teures Paket ist, aber vor allem ein ausgewogener Kompromiss, mit dem wir Arbeitsplätze erhalten.

Luxemburger Wort: Können Sie das Unverständnis dennoch verstehen, wenn selbst jene Unternehmen profitieren, die enorme Gewinne einfahren und beachtliche Dividenden ausschütten können?

Yuriko Backes: Dieses Unverständnis mag auf den ersten Blick eine verständliche Reaktion sein. Nun ist es aber auch so, dass sich diese guten Zahlen auf das Vorjahr beziehen, also noch vor dem Ukraine-Krieg mit all seinen Folgen. Dann wundert es mich aber auch, wenn jemand es nicht gut findet, dass Unternehmen Gewinne machen. Ein Unternehmen, dem es gut geht, sichert Arbeitsplätze und zahlt Steuern, die den öffentlichen Finanzen zugutekommen, so dass wiederum Ausgaben getätigt werden, von denen die Allgemeinheit profitiert.

Luxemburger Wort: Blickt man auf die Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Solidaritätspakets, hat man den Eindruck, dass das Abkommen übers Knie gebrochen wurde.

Yuriko Backes: In der Tripartite war die Haltung, sich so schnell wie möglich auf ein Abkommen zu verständigen und damit Vorhersehbarkeit zu schaffen. Wir haben unsere Verantwortung übernommen und ich weiß auch nicht, ob das Ergebnis ein anderes geworden wäre, wenn wir weitere drei Monate verhandelt hätten. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir uns sehr viel Zeit dafür genommen haben, um uns mit den sehr detaillierten Zahlen des Statec auseinanderzusetzen. Auf dieser Basis wurde das Maßnahmenpaket geschnürt.

Luxemburger Wort: Mit welchem Argument können Sie jene Bürger beruhigen, die nun fürchten, dass in den kommenden Jahren die eine oder andere Index-Tranche ganz gestrichen wird?

Yuriko Backes: Es geht nicht darum, irgendeine Indextranche zu streichen. In dem Punkt passt kein Blatt zwischen die drei Koalitionspartner. Entsprechend klare Aussagen hat es auch von der Regierung gegeben. Da mehrere Tranchen innerhalb kurzer Zeit für die Betriebe nur schwer zu verdauen wären, haben wir uns mit den Sozialpartnern allerdings auf eine zeitliche Streckung verständigt.

Luxemburger Wort: Mit Spannung wird die Steuerdebatte erwartet, die noch vor der Sommerpause stattfinden soll. Welche Impulse erwarten Sie sich von der Chamber?

Yuriko Backes: Auch wenn es in dieser Legislaturperiode nicht zur großen Steuerreform kommt, so habe ich bei meinem Amtsantritt mit meinen Mitarbeitern ausgelotet, welche Hebel wir dennoch bewegen könnten und wir haben einen Katalog mit über 30 Maßnahmen zusammengestellt. Infolge des Ukraine-Krieges mit seinen budgetären und wirtschaftlichen Auswirkungen hat sich der Spielraum allerdings reduziert. Ich habe dennoch eine klare Vorstellung, was ich tun möchte, um beispielsweise verschiedene soziale Schichten sowie Alleinerziehende gezielt zu unterstützen, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zu fördern und den ökologischen Wandel voranzutreiben. An Ideen mangelt es allemal nicht; wir müssen uns nur bewusst sein, was es kostet und mit welchem Geld sie finanziert werden sollen. Da erwarte ich mir schon entsprechende Impulse aus der parlamentarischen Debatte.

Luxemburger Wort: Denkbar ist also, dass sich nach der Debatte punktuelle steuerliche Maßnahmen im Haushaltsentwurf für 2023 wiederfinden?

Yuriko Backes: Soweit es die allgemeine Entwicklung zulässt, bin ich gewillt, etwas zu machen. Denn der Bedarf ist da. Alles hängt aber letztlich von den kommenden Monaten und der internationalen Entwicklung ab. Und als Finanzministerin sehe ich mich eben auch in der Rolle der "bonne mère de famille", die darauf bedacht sein muss, dass die budgetäre Lage des Landes nicht aus dem Ruder läuft.

Luxemburger Wort: Zusammen mit dem Innen- und Wohnungsbauministerium sind Sie mit der Reform der Grundsteuer betraut. Welche finanziellen Erwartungen haben Sie in puncto Größenordnung - derzeit fällt die Steuer mit rund 40 Millionen Euro gering aus?

Yuriko Backes: Wir führen zurzeit sehr aktive und intensive Diskussionen, weil wir die vom Premierminister vorgegebene Frist einhalten und einen Gesetzentwurf für Grundsteuerreform, nationale Spekulationssteuer und Leerstandssteuer bis Herbst vorlegen wollen. Wichtig ist mir dabei, dass diejenigen, die Eigentümer ihres Hauptwohnsitzes sind, von einem Freibetrag profitieren können. Hauptziel der Reform bleibt es, leerstehende Wohnungen und Grundstücke zu besteuern. In puncto Größenordnung will ich nicht vorgreifen, nur so viel sei gesagt: Im EU-Vergleich sind die Einnahmen aus der Grundsteuer in Luxemburg verschwindend gering und liegen bei knapp 0,1 Prozent des BIP. Vom europäischen Mittelwert von 1,5 Prozent sind wir sehr weit entfernt.

Luxemburger Wort: Bei der Spekulationssteuer wollen die Gemeinden, dass diese Einnahmen ihnen zustehen. Wie will die Regierung vorgehen?

Yuriko Backes: Die Diskussionen sind, wie gesagt, noch nicht abgeschlossen. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir eine für alle Beteiligten annehmbare Lösung finden.

Luxemburger Wort: Die Klimakrise bleibt die große Herausforderung. Inwieweit kann der Finanzplatz zu deren Bewältigung beitragen?

Yuriko Backes: In dem Bereich wurde schon sehr viel geleistet unter meinem Vorgänger Pierre Gramegna, beispielsweise jene Initiativen, die zusammen mit der Europäischen Investitionsbank oder dem Umweltministerium lanciert wurden. Diese grüne Ausrichtung tut dem Finanzplatz und dem Land gut, ohne dass wir dabei in Greenwashing verfallen. Das darf nicht sein. Letztlich ist die ökologische Orientierung auch eine Form der Diversifizierung und ich sehe am Finanzplatz sehr viele engagierte Akteure, die dieses Potenzial ausschöpfen wollen.

Luxemburger Wort: Wie gehen Sie als Budget- und Finanzministerin mit dem Phänomen Tanktourismus um, das einerseits die Staatskassen füllt, andererseits die CO2-Bilanz belastet?

Yuriko Backes: Der Tanktourismus ist gewissermaßen ein Erbe früherer Tage, das für Einnahmen in Milliardenhöhe sorgt. Eine derart beachtliche Summe kann man nicht von heute auf morgen streichen. Die Regierung hat jedoch im Vorjahr eine CO2-Steuer eingeführt, die dafür sorgt, dass weniger Benzin und Diesel verbraucht werden. Diese Herausforderung müssen wir langfristig angehen, denn bei einem Ausstieg aus dem Tanktourismus muss es auch darum gehen, die steuerlichen Mindereinnahmen zu kompensieren.

Luxemburger Wort: Die Beihilfen von Blau-Rot-Grün, ob im Wohnungsbau oder in der Mobilität, sind großzügig. Wird das soziale Kriterium dennoch nicht unterschätzt, da sich viele Bürger eine Vorfinanzierung aus eigener Kraft nicht leisten können?

Yuriko Backes: Das ist eine heikle Problematik, der ich mir sehr wohl bewusst bin. Ich bin im Austausch mit dem Mobilitäts- und dem Wohnungsbauminister, wie wir den betroffenen Bürgern entgegenkommen können. Da es sich um komplizierte Sachverhalte handelt, gibt es keine schnellen Lösungen.

Luxemburger Wort: Wie wird Luxemburg die Neuregelung der Unternehmensbesteuerung angehen, ohne dass es zu Standortnachteilen kommt?

Yuriko Backes: Wir müssen die zwei Pfeiler unterscheiden. Einerseits geht es darum, das Unternehmen dort zu besteuern, wo der Produktionsstandort ist und nicht der Sitz des Unternehmens. Hiervon betroffen sind die großen multinationalen Konzerne, mit Ausnahme der Finanzdienstleister. Andererseits geht es um eine Mindestbesteuerung von 15 Prozent, über der wir bereits heute liegen - im Gegensatz zu einer Reihe anderer Länder. Wenn diese Regelung, wie angedacht, Anfang kommenden Jahres in Kraft tritt, wird dies nicht ohne Folgen bleiben. Allerdings lassen sich diese Folgen zum jetzigen Zeitpunkt nicht beziffern. Umso mehr, als diese Regelung auch die anderen OECD-Länder betrifft und man die Standortpolitik der betroffenen Unternehmen beobachten muss. Ich bin davon überzeugt, dass wir in Luxemburg gut aufgestellt sind und eine ganze Reihe von Vorteilen bieten können: Wir sind ein stabiles Land, verfügen über das Triple A, sind mehrsprachig, haben viele internationale Schulen. Mir ist zudem der Aspekt der "Talent Attraction" sehr wichtig: Was können, was müssen wir tun, um jene klugen Köpfe nach Luxemburg zu locken beziehungsweise auch in Luxemburg zu halten, die wir für die weitere Entwicklung des Finanzplatzes benötigen? Auch hier hätte ich einige Ideen.

Luxemburger Wort: Haben Sie den Eindruck, das Luxemburg immer noch als Steueroase wahrgenommen wird und was wollen Sie dagegen tun?

Yuriko Backes: Wir haben vorhin über die grüne Transition gesprochen. Die entsprechenden Anstrengungen des Finanzplatzes bleiben international nicht unbeachtet. Dass beispielsweise "Green Bonds" oder "Social Bonds" in Luxemburg aufgelegt werden, spricht für sich. Gewiss, wir standen während vieler Jahre in der Kritik und in der "Schmuddelecke", auch wenn ich den Begriff nicht wirklich mag. Dennoch muss man heute anerkennen, dass in puncto Steuerpolitik sehr viel passiert ist, insbesondere durch die Umsetzung von EU-Richtlinien und OECD-Standards. Wir wollen uns im Wettbewerb mit anderen Plätzen als sauber, transparent, wettbewerbsfähig und zukunftsorientiert - denken Sie an die grüne Transition - behaupten.

Luxemburger Wort: Wenn nun in den folgenden Monaten die Haushaltsplanungen für 2023 anlaufen: Mit welchen Argumenten werden Sie den Budgetären Wünschen Ihrer Ministerkollegen begegnen, die nicht alle zu erfüllen sein werden?

Yuriko Backes: Erst einmal bleibt die generelle Situation, in der die Diskussionen stattfinden werden, schwer vorhersehbar. Ist der Krieg bis dahin vorbei? Sehen wir das Licht am Ende des Tunnels? Eine Leitlinie wird aber sicherlich das Regierungsprogramm sein und was davon noch umgesetzt werden soll. Vielleicht müssen wir uns auch mit weiteren Krisenbewältigungsmaßnahmen befassen. Sie sehen, eine pauschale Aussage ist schwierig. Aber wie auch immer der allgemeine Kontext sein wird, die gesamtbudgetäre Lage mit der prognostizierten Entwicklung der Verschuldung und des Defizits beim Zentralstaat werde ich bei den anstehenden Diskussionen stets im Hinterkopf haben.

Luxemburger Wort: Auch wenn es noch rund ein Jahr hin ist: Wie wollen Sie persönlich Ihren ersten Wahlkampf angehen?

Yuriko Backes: Das stelle ich mir noch gar nicht vor. Für derartige Gedanken habe ich momentan keine Zeit. Erst einmal konzentriere ich mich auf die Arbeit, die jetzt ansteht. Und da gibt es genug zu tun.

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