Interview von François Bausch im Tageblatt

"Eine Frage des Willens"

Interview: Tageblatt (Philip Michel)

Tageblatt: Herr Bausch, es gibt Menschen, die setzen sich an der Mosel auf eine Terrasse und fotografieren Radfahrer, die nicht auf dem Radweg, sondern auf der Straße unterwegs sind. Anschließend posten sie das Bild in den sozialen Netzwerken und regen sich auf. Wenn der Wein ausgetrunken ist, setzen sie sich ins Auto und fahren heim. Was fällt Ihnen dazu ein?

François Bausch: Diesen Menschen sage ich, dass die Straßen nicht nur den Autofahrern gehören, sondern für alle Verkehrsmittel da sind. Radwege werden gebaut, damit der Radfahrer mitunter gemütlich und sicher fahren kann. Wenn aber einer z.B. auf dem Rennrad schnell fahren will, so hat er das Recht, die Straße zu benutzen. Die Straße ist ein öffentlicher Raum, der durch den "Code de la route" reglementiert ist. Und da steht drin, dass ein Radfahrer genauso das Recht hat, die Straße zu benutzen. Daran müssen wir uns gewöhnen. Wir müssen verstehen, dass jeder seinen Platz auf unseren Straßen hat.

Tageblatt: Das Argument in den einschlägigen Foren. oder sozialen Netzwerken ist immer dasselbe: Es gibt fast 700 km Radwege im Land, dann sollen die Radfahrer diese auch benutzen...

François Bausch: Ich bin überzeugt, dass diese Einstellung auch ein Generationsproblem ist. Wir haben eine Generation, meine zum Beispiel, die ist aufgewachsen in Zeiten des Siegeszuges des Autos. Wir haben uns damit viele Probleme geschaffen. Wir haben die Städte "kaputt" gemacht und Landschaften extremst zubetoniert. Das hier ist kein Plädoyer gegen das Auto, aber wir müssen davon wegkommen, nur auf das Auto fixiert zu sein. Es muss ein Zusammenleben möglich sein zwischen allen Verkehrsmitteln. Heute denken die Jungen und auch nicht mehr ganz so Jungen anders. Die Verkehrsexperten in Deutschland sagen, dass wir uns weg von einer Autoaffinen Gesellschaft hin zu einer Mobilitäts-affinen Gesellschaft bewegen. Das heißt, dass die jüngere Generation nicht mehr so fixiert auf ein Verkehrsmittel ist; sie will eine Mobilität haben, die funktioniert und effizient ist. Mit welchem Verkehrsmittel das geschieht, ist ihr egal. Sie sieht also das Fahrrad ganz anders als z.B. meine Generation.

Tageblatt: Das heißt also, dass die Zeit das "Problem" schon irgendwie lösen wird. Kann dieser Prozess nicht beschleunigt werden? Denn betrachtet man die Diskussionen auf Facebook und Co., dann kann man schon fast von einem Krieg zwischen Autolobby und Radfahrlobby sprechen...

François Bausch: Das Problem dieser Foren ist, dass meistens die am lautesten schreien, die gegen etwas sind. Es ist aber nicht so, dass jeder so denkt. Ich habe vor den letzten Wahlen den "Code de la route" geändert und neue Rechte für das Rad eingeführt. Der Aufschrei war riesig und ich wurde gefragt: "Hast du sie noch alle, so etwas kurz vor den Wahlen zu machen? Das Wahlresultat hat mir recht gegeben. (Bei den Parlamentswahlen 2018 gewannen die Grünen drei Sitze hinzu und François Bausch feierte ein exzellentes persönliches Ergebnis, d,Red.)

Tageblatt: Wie lebt es sich denn so als Hassobjekt dieser Autolobby?

François Bausch: Ich bin nicht der Meinung, dass solche Reaktionen demokratiefördernd sind. Es muss ja nicht jeder meiner Meinung sein. Aber wenn ich Hass poste, dann ist das keine Meinung, sondern ein Eingeständnis, dass ich keine Argumente habe. Das stört mich an den sozialen Medien und deswegen habe ich meine Accounts auf Facebook und Twitter gelöscht. Denn das, was dort passiert, ist einer Diskussion nicht würdig. Nochmal, ich mag Auseinandersetzungen und Streitdiskussionen, aber es muss zivilisiert und sachlich gestritten werden. Es muss nicht immer jeder mit mir einverstanden sein und ich habe auch nicht immer recht, darum geht es nicht. Aber Diskussionen müssen fair und korrekt laufen. Und ich bleibe dabei: Der öffentliche Raum gehört jedem.

Tageblatt: Luxemburg hat ein doch beeindruckendes Netz von insgesamt fast 700 km Radwegen. Trotzdem ist das Land wohl weit davon entfernt, eine Radnation zu sein. Wie-passt beides zusammen?

François Bausch: Es beginnt damit, dass ein Paradigmenwechsel beim Straßenbau stattfindet. Jahrzehntelang sind Straßen für Autos gebaut worden. In einem Mobilitätsdenken ist das komplett daneben. Eine Infrastruktur zur Mobilität baue ich ja nicht, um Fahrzeuge zu bewegen, sondern um Menschen zu bewegen. Das ist die neue Philosophie. Also gucken wir auch, wie viel Platz ein jeder braucht, um sich auf der Straße zu bewegen. Ein Autofahrer "verbraucht" 36 m 2 Fläche. Ein Radfahrer "verbraucht" 1,5 m 2. Da sieht man ja schon das Ungleichgewicht. Die Frage ist also, mit welchem Recht kann ein Einzelner 36 m 2 beanspruchen, während ein anderer nur 1,5 m 2 braucht? Und wenn man dann darüber diskutiert, dass man von dem, der 1,5 m 2 verbraucht, eineinhalb Meter Abstand halten soll, dann ist schon der Teufel los. Ich frage also: Wo ist da noch die Gerechtigkeit? Dazu kommt, dass Radfahrer keine Schäden an Straße verursachen, dagegen belastet das Auto eine Straße.

Tageblatt: Zum Rad im Alltag. In Gemeinden wie Esch ist der tägliche Weg zur Arbeit mit dem Fahrrad mitunter lebensgefährlich. Da wurde ein vielleicht gutes Mobilitätskonzept mit Radwegen vor langer, langer Zeit eingeführt, aber nie konsequent weiterverfolgt. Wie kann das Ministerium auf. solche Gemeinden einwirken, damit sich die Situation der Fahrradfahrer zum Besseren verändert?

François Bausch: Ich denke, dass sich das ändert, wie schon gesagt, weg von der Fixierung auf ein Verkehrsmittel hin zur Mobilitätsaffinität. Es gab schon immer eine Lobby für das Rad, doch noch nie war sie so groß wie heute. Und wenn diese Lobby immer größer wird, dann wird auch der Druck auf die Politik immer größer. Im Endeffekt sage ich, dass die Bevölkerung in ihrer Denkweise heute viel weiter ist als so mancher Politiker. Und der Wunsch, andere Infrastrukturen zu haben, ist längst da. Was also jetzt noch fehlt, ist der politische Mut, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das kann dann auch schon mal bedeuten, dass ich öffentlichen Parkraum zugunsten einer Radstrecke opfere. Wir müssen verstehen, dass wenn wir jetzt nicht den Mut haben, wir immer mehr Unfälle riskieren. Besonders gefährlich ist es für Radfahrer auf großen, stark belasteten Achsen. Nicht in Tempo-30-Zonen, da braucht man keine Radwege. Prinzipiell meine ich, dass man heute keine neue Straße konzipieren und planen kann, ohne das Fahrrad mit einzubeziehen. Dass die Nachfrage seitens der Radfahrer da ist, steht außer Zweifel, nur müssen die Gemeinden diese Nachfrage auch sehen. Corona hat gezeigt, wie viele Menschen das Fahrrad wiederentdeckt haben.

Tageblatt: In der Tat wird seit Corona von einem regelrechten Radboom gesprochen. ist dieser Boom in irgendeiner Form chiffrierbar?

François Bausch: In einem Jahr sind 12.000 Prämien beantragt worden. Seitdem wir sie auf 600 Euro erhöht haben, gehen sie im Umweltministerium in Anträgen unter. Man braucht nur mit den Leuten in den Fahrradgeschäften zu sprechen. Die kommen mit der Arbeit nicht mehr nach und haben auch zum Teil nichts mehr zu verkaufen. Die Läden sind leergekauft.

Tageblatt: Sie sprechen von der Prämie zum Kauf eines Fahrrads oder Pedelecs, die von maximal 300 auf maximal 600 Euro angehoben wurde, Ist diese Prämie überhaupt ökologisch vertretbar, denn Fahrräder können im Prinzip ewig halten? Nun kauft wegen der Prämie jeder ein neues Rad, anstatt vielleicht sein altes wieder fahrtüchtig zu machen, oder' aber ein gebrauchtes zu kaufen. Demnach werden momentan wohl auch viele alte Räder verschrottet...

François Bausch: Das ist eine berechtigte Frage. Wir haben lange darüber nachgedacht, eine Prämie für Reparaturen einzuführen. Da wäre es aber noch komplizierter geworden, zu kontrollieren, ob da nicht geschummelt wird. Trotzdem glaube ich, dass die Prämie etwas gebracht hat. Und zwar, dass die Leute das Fahrrad neu entdeckt haben.

Tageblatt: Luxemburg hat 700 km Radwege. Die werden aber nicht immer benutzt, vor allem von Rennradfahrern nicht. Schlechter Zustand, zu viele Familien unterwegs, Hunde, Menschen mit Rollerblades und nicht zuletzt Planungsfehler wie bei Stadtbredimus, wo man gar nicht mehr vom Radweg herunterkommt, verhindern das. Was sagen Sie denen: Fahrt auf der Straße, weil unser Netz nicht wirklich geeignet ist für euch?

François Bausch: Es hängt natürlich davon ab, wie ich mit dem Rennrad unterwegs bin. Wer lange Strecken gemütlich fahren will, für den sind unsere Radwege gut. Wenn ich aber Sport machen will, dann denke ich, dass die Radwege nicht das Richtige sind. Denn es wird zum Teil ein Tempo gefahren, was die anderen auf dem Radweg erschrecken kann. Da sind wir im Grunde genommen wieder bei der Ausgangsfrage. Ein Rennrad hat genauso seine Berechtigung auf der Straße wie ein Auto.

Tageblatt: Das Problem ist aber, dass man als Rennradfahrer zum Teil gezwungen wird, die Radwege zu benutzen. Denn wer nach der Arbeit noch ein wenig trainieren will, der möchte das sicher nicht im Feierabendverkehr tun. Denn das ist lebensgefährlich, für jeden Radfahrer.

François Bausch: Wie gesagt, es ist schlussendlich eine Sache von Toleranz. Die Straße ist auch für Rennräder da. Das ist einfach so. Ansonsten müsste ich ja sagen, es dürften keine Traktoren auf der Straße fahren. Denn die fahren mitunter noch langsamer als Rennradfahrer. Nochmal: Die Straße ist ein öffentlicher Raum, wo jedes Verkehrsmittel seinen Platz haben soll. Und wenn man dann einmal etwas langsamer vorankommt, was ist denn dann passiert? Wo leben wir denn? Sind wir denn alle so gehetzt, dass es auf jede Sekunde ankommt?

Tageblatt: Sieht so aus.

François Bausch: Wissen Sie, ich habe auf der Echternacher Strecke nach den schlimmen Unfällen die Geschwindigkeit auf 90 herabgesetzt und den Streckenradar eingeführt. Es gab einen riesigen Aufschrei. Da habe ich ausrechnen lassen, wie viele Sekunden man verliert wenn man dort 90 anstelle der zuvor gültigen 110 fährt. Das waren 21 Sekunden. 21 Sekunden! Ist das denn noch normal, dass wir aufschreien, weil wir 21 Sekunden verlieren? Das steht doch in keinem Verhältnis zu den tödlichen Unfällen, die dort geschehen sind. Im Straßenverkehr benehmen sich Menschen, als wären sie nicht mehr normal. Nicht alle natürlich, aber zu viele. Anderes Beispiel: Ich werde regelmäßig von Leuten kritisiert, die 90 km/h im Tunnel als viel zu langsam empfinden. Schauen Sie, was am Mittwoch geschehen ist (zwei Tote und drei Verletzte bei einem schweren Unfall im Tunnel Gousselerbierg, d.Red.). Wenn in einem Tunnel ein Unfall geschieht, hat das meistens katastrophale Folgen. Deswegen gilt im Tunnel Tempo 90, damit eben kein Unfall passiert. Wenn man natürlich allein auf weiter Flur hindurchfährt, dann kann einem 90 als zu langsam vorkommen. Und so ist es auch mit dem Verkehr und dem Fahrrad. Es geht darum, sich gegenseitig zu respektieren. Natürlich weiß ich auch, dass Radfahrer mitunter genauso blöd fahren wie die angesprochenen Autofahrer. Der Radfahrer ist per se kein besserer Mensch auf der Straße als der Autofahrer.

Tageblatt: Zurück zu Corona und dem Radboom. Im Ausland haben Städte wie Brüssel oder Paris vorn Lockdown profitiert, um kurzfristig Maßnahmen zugunsten des Radverkehrs zu ergreifen. Warum ist Luxemburg nicht auf diesen Zug aufgesprungen?

François Bausch: Das ist eine berechtigte Frage. Ich bin als Minister zuständig für die nationalen Radwege. Wir haben den "Velosummer 2020" vorgeschlagen. Ich finde es erschreckend, wie viele Gemeinden da nicht mitmachen wollten. Nicht alle, denn es gab auch Gemeinden, die sich spontan gemeldet haben. Andere aber haben einfach Nein gesagt, wahrscheinlich ohne überhaupt das Projekt richtig analysiert zu haben. Ich mache in dieser Hinsicht nichts gegen den Willen der Gemeinden, aber ich finde es schon schade. Und hier reden wir ja nur über den August. Und natürlich hätte auch etwas im Alltag getan werden können. Das wäre gut gewesen. Zum Beispiel um zu zeigen, dass es nicht dramatisch ist, wenn man etwas Platz auf der Straße zugunsten des Fahrrads wegnimmt. Beispiel Passerelle in der Stadt. Wer redet heute noch davon, dass wir dort eine Spur dem Autoverkehr weggenommen haben? Doch damals war es ein Riesengeschrei. Und heute ist das doch genauso. Politiker haben Angst, etwas zu machen, weil dann sofort der Teufel an die Wand gemalt wird. Dabei sage ich immer den Autofahrern - und ich weiß, dass sehr viele Menschen tagtäglich auf ihr Auto angewiesen sind - Folgendes: Seid doch froh über jedes Fahrrad, das auf der Straße unterwegs ist. Denn jeder Fahrradfahrer auf der Straße ist ein Autofahrer weniger. Und das macht Platz für diejenigen, die das Auto wirklich brauchen. Also müsste eigentlich jeder Autofahrer, der an einem Radfahrer vorbeifährt, Danke sagen. Da sind wir dann wieder bei den 36 und den 1,5 m 2.

Tageblatt: Natürlich liegt es in der Kompetenz der Gemeinden, die Situation des Rads im Alltag zu verbessern. Doch muss ein Ministerium nicht auch die Rolle einer Lokomotive erfüllen und Gemeinden, wenn man so will, auch mal zu ihrem Glück zwingen?

François Bausch: Doch, aber wir haben den Gemeinden auch "Werkzeuge" gegeben. Zum Beispiel ein Computerprogramm, um Radwege auf Straßen zu simulieren. Ich möchte den Gemeinden schon helfen. Und wenn Staatsstraßen betroffen sind, bin ich sofort bereit, zu gucken, ob wir das hinkriegen. Aber die Initiative muss aus den Gemeinden kommen.

Tageblatt: Sie haben den "Vëlosummer 2020" angesprochen. Über das Echo der Gemeinden haben Sie sich enttäuscht gezeigt (von den geplanten 16 Strecken fielen etliche dem Gemeindeveto zum Opfer. Andere werden nur an Wochenenden komplett für den Autoverkehr gesperrt, d.Red.). Hätte Ihr Ministerium nicht besser daran getan, den "Vëiosummer" im Vorfeld mit den Gemeinden zu planen? So aber ist man das Risiko eingegangen, dass Gemeinden allein schon deshalb ihr Veto einlegen, weil sie im Vorfeld nicht informiert waren.

François Bausch: Ich denke nicht. Wir wollten etwas machen, vom Radboom profitieren. Ich glaube, dass die Gemeinden, die nein gesagt haben, das nicht getan haben, weil sie nicht informiert waren. Sie waren einfach dagegen. Kategorisch. Ganz besonders leid tut es mir um die Strecke durch das Müllerthal. Das hätte die Attraktivität des Müllerthals doch nur gesteigert, der Region touristisch viel gebracht. Denn was ist der Tourismus im Müllerthal? Radfahren oder Wandern! Es ist doch absurd: Man hat eine fantastisch schöne Region, aber man vermarktet sie schlecht. Man hätte es zumindest probieren können. Wenn nichts daraus geworden wäre, 0.k., dann eben nicht. Da lob ich mir doch die drei Nordgemeinden, die nicht vorgesehen waren und sich selbst gemeldet haben.

Tageblatt: Ein anderes Problem kennen alle Radfahrer, vor allem aber die Rennradfahrer, nur zu gut. Es gibt Straßen, die sind in einem katastrophalen Zustand. Im Süden ist z.B. Bettemburg ein Drehkreuz, oder aber der "Reiserbann". Wer aber durch Bettemburg oder Peppingen fährt, der muss um seine Laufräder fürchten, so löchrig ist die Straße dort teilweise.

François Bausch: Ja, die "Ponts&Chaussées" haben ein Instandsetzungs-Programm, was die Staatsstraßen anbelangt. Aber die "Ponts&Chaussées" haben das Problem, all die Arbeit zu bewältigen. Die laufen sozusagen auf dem Zahnfleisch. Eines der großen Probleme Luxemburgs ist, dass wir im Moment in Sachen Infrastruktur mit dem Bauen fast nicht mehr hinterherkommen. Es laufen enorme Projekte wie z.B. der Ausbau der A3. Da kommen die Unterhalts-Programme mitunter zu kurz. Und natürlich muss man sagen, dass unsere Straßen extrem belastet sind. Und je belasteter sie sind, desto schneller gehen sie kaputt. So kann es schon sein, dass die Straßen nicht immer in dem Zustand sind, in dem sie sein sollten. Auf der anderen Seite — und das soll jetzt keine Entschuldigung sein: Wenn ich unser Straßennetz- mit dem unserer Nachbarländer vergleiche, dann schneidet Luxemburg sehr gut ab. Das Problem ist also, den Rhythmus zu bewältigen. Es ist einfach Wahnsinn, wie viele große Infrastrukturprojekte laufen.

Tageblatt: Müssen die denn überhaupt alle sein? Weil eine moderne Mobilitätspolitik bedeutet in anderen Ländern, überhaupt keine neuen Straßen zu bauen, sondern nach Alternativen zu suchen.

François Bausch: Früher sind zwei Drittel des Budgets in Straßen investiert worden und ein Drittel in den Schienentransport. Dieses Verhältnis haben wir umgekehrt. Wir haben in Luxemburg im Vergleich zu anderen EU-Ländern ein riesiges Bevölkerungswachstum. Das erzeugt großen Druck. Denn die Bevölkerung wächst so schnell, dass wir mit dem Bau der. Infrastrukturen nicht mehr nachkommen.

Tageblatt: Eines der großen Projekte zugunsten des Rads sind die sogenannten "Veloexpresswege" zwischen Bettemburg und Luxemburg sowie Esch und Luxemburg. Wie weit sind diese Vorhaben?

François Bausch: Bettemburg - Luxemburg ist im Bau, der Radweg entsteht gleich neben der Neubaustrecke der Bahn. Esch - Luxemburg ist momentan im Feintuning. Der Radweg reiht sich ja in das Projekt der schnellen Tram-Verbindung nach Esch ein. Ich hoffe, dass wir das Projekt im Oktober vorstellen können.

Tageblatt: Wie sieht das genaue Zeitfenster aus?

François Bausch: Spätestens Ende 2022 soll das Finanzierungsgesetz im Parlament vorliegen und hoffentlich so schnell wie möglich verabschiedet werden. So könnte, wenn die Tram-Trasse bis Kockelscheuer 2024 fertig ist, gleich mit dem Bau des nächsten Streckenabschnitts nach Esch begonnen werden. Dann könnte es bis 2027-2028 zumindest bis zum Verteiler Foetz fertig sein. Der "Vëloexpresswee" von Bettemburg dagegen wird mit der Zugstrecke fertig, also 2024.

Tageblatt: Das andere große Projekt, das zumindest für die Escher sehr wichtig ist, ist der direkte Rad- und Gehweg von Esch nach Belval.

François Bausch: Das ist ein gutes Beispiel. Wir haben uns als Staat engagiert, denn sonst wäre das wohl nie etwas geworden. Aber jetzt müssen Escher und Sassenheimer Gemeinde dafür sorgen, dass Zubringerwege für das Fahrrad gebaut werden. Sonst ergibt das keinen Sinn.

Tageblatt: Kommt die Verbindung nicht mindestens zehn Jahre zu spät? Denn Esch und Belval sind zwei völlig verschiedene Dinge, zusammengewachsen ist da nichts.

François Bausch: Ja natürlich, die direkte Verbindung hätte in die Pläne zum Bau der Uni miteinbezogen werden müssen. Aber zu der Zeit hat keiner das bedacht. Da sind wir wieder bei der Fixierung auf das Auto.

Tageblatt: Zum Schluss noch eine etwas provokante Frage. Was antworten Sie den Leuten, die Ihnen mit Blick auf die Städte in der Schweiz, Dänemark oder in Holland vorwerfen, in Sachen Fahrrad eine Alibi-Politik zu betreiben?

François Bausch: Denen würde ich sagen, dass sie sich nicht bewusst sind, wie kompliziert Verkehrsplanung ist. Das ist extrem komplex, man muss mit vielen Widerständen umgehen. Weil es gilt, viele unterschiedliche Interessen auf einen Nenner zu bringen. Und das braucht eben seine Zeit. Wenn ich das sage, dann nicht als Ausrede, dass nichts geschieht. Weil es geschehen ja Dinge. Es ist noch nie so spektakulär viel für das Fahrrad gebaut worden wie in den letzten sieben Jahren. Das soll aber nicht heißen, dass ich zufrieden bin. Im Gegenteil. Wir haben noch viel Arbeit vor uns. Trotzdem bin ich überzeugt, dass wir in dieser Legislaturperiode einen guten Schritt nach vorne gekommen sind.

Tageblatt: Ist die Vision der absoluten Priorität für das Fahrrad wie in einigen Städten im Ausland in Luxemburg realistisch?

François Bausch: Ja, ich bin der Meinung, dass das absolut realistisch ist. Es ist eine Frage des Willens.

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